Frühling 2024, Teil 2

2. Juni bis 8. Juni, Tag 27 bis 33, Kerascoet

Über die Halbinsel Quiberon fahren wir Richtung Nevez. Quiberon soll man ja gesehen haben. Mich haut es nicht vom Sessel. Aber das ist kein Wunder, denn ich kenne Kerascoet. Und das ist schöner als fast alles.

In Kerascoet ist es wie immer und das ist gut. Die Rezeption des Camping hat bis spätnachmittags geschlossen. Ich suche einen Platz für uns und tatsächlich ist der frei, den wir vor eineinhalb Jahren hatten. Der unter der Birke. Ich parke Carissima und wir gehen an den Plage Tahiti. Der schönste Strand der Welt.

Als wir zurückkommen warten bereits einige Menschen vor der Rezeption. Ich setze mich zu einem Motorradfahrer aus Großbritannien an den Tisch und als wir dann einchecken, glaubt die Dame an der Rezeption, dass wir zusammen gehören. Ich finde das sehr erheiternd und wir beschließen, den Tag am Strand ausklingen zu lassen. Der wackere Brite geht als einziger ins Wasser und Wanda gräbt ein sehr tiefes Loch am Strand. Ich nehme an, dass sie Paul in Sydney besuchen wollte. Nachdem uns aber die Zeit davonläuft, muss sie sich mit Peter aus Bristol begnügen. Mit dem gibt es dann noch Abendessen und Geschichten bis tief in die Nacht hinein. Fünf Jahre, bevor er geboren wurde, bin ich mit dem Motorrad durch Jugoslawien gefahren. Das gab es damals noch. Peter staunt.

Am Ende des Abends bekommt er noch ein Horoskop und am nächsten Tag gibt es ein gemeinsames Frühstück. Für ihn das erste Mal heißen Kaffee seit über einer Woche. Ich kenne das. Motorradfahren ist super, so lange es nicht regnet. Nun aber endlich Sonne und Peter wird über Landeda und Roscoff wieder nach Hause fahren. Und ich? Ich bleibe. Wie lange, das weiß ich noch nicht.

Und so vergeht die Zeit. In Kerascoet vergeht die Zeit unsichtbar und lautlos. Einmal nicht hingeguckt, einmal zu oft am plage d‘ tahiti gewesen und fluggs ist eine Woche um. Ich gehe jeden Tag über 10.000 Schritte, das tut gut. Jeden Tag fahren wir in die Stadt, nach Nevez, mal in die Apotheke, denn ich habe einen Tipp bekommen, wie ich meine Zustände behandeln kann, mal zum Supermarkt und mal einfach so. Durch die Gegend radeln. Gehen ist im Moment besser für mich, denn beim Gehen bekomme ich Luft.

Zwischendrin zweifle ich an meinem Verstand. Was konnte nur solche Zustände auslösen. Dann wieder kommen Stunden, in denen es besser läuft und ich wünsche mir, dass diese mehr werden. Mehr gibt es von Kerascoet nicht zu erzählen. Ich könnte noch erzählen von den lauen Abenden, an denen eine solch große Vogelschar zwitschert, dass ich keine einzelnen erkennen kann, von einem Sternenhimmel, der mich mit offenem Mund hat stehen lassen und von der einzelnen Sternschnuppe, an die ich nur einen einzelnen Wunsch geschickt habe.

8. Juni, Tag 34, Landéda

Am Ende der Welt ist ein Strand, der sich alle 12 Stunden neu erfindet.

14. Juni, Tag 40, Landéda

„Wie soll es weitergehen“, fragt Carissima. Ihre Stimme klingt etwas dünn. Sie hat gehört, dass Menschen Autos verkaufen, wenn es finanziell eng wird. „What shall we do with the drunken sailor“, gröhlt der Blues von hinten. Er hat es sich mit sechs Dosen Bier auf dem Bett gemütlich gemacht. „Schnauze“, brüllen Carissima und ich im Chor. Draußen Windstärke 10. Die Wolken rasen über den Himmel, als möchte man hier ein Denkmal an Niki Lauda errichten. Aber nichts für die Ewigkeit, morgen wird alles wieder anders sein. „Morgen wird alles wieder anders sein“, sage ich. Sie schweigt. „Nein, ohne Witz, wir schaffen das“, sage ich. Sie atmet erleichert aus. „Du und ich und der Blues und natürlich das Hündlein, wir gehören doch zusammen“, sage ich.

„Und die beiden Roststellen? Du weißt schon, die im Motorraum“, fragt sie. „Das kriegen wir hin“, sage ich. Wir haben bisher noch immer alles hinbekommen. Ich habe bisher noch immer alles hinbekommen. Ja, irgendwann vorher, da war ich jünger und vermutlich auch belastbarer. Aber jetzt bin ich dafür gelassener. Also was soll`s. „Welcome to the Hotel California“, singt der Blues und öffnet seite dritte Dose Bier. Es ist halb ein Uhr Mittag. You can check out any time you want, but you can never leave.

Ich wische meine Gedanken zur Seite. Es ist schwer genug, von Landéda Abschied zu nehmen, immer wieder. Was haben wir alles erlebt in dieser Woche voller Gedanken und mit kaum geschriebenen Worten? Wir haben einen Mann kennen gelernt, der ein Vogelhäuschen vor seinem Camper aufgestellt hat. Wen immer er an seinem Häuschen mit den Meisenkugeln und Sonnenblumenkernen erwartet hat, es sitzt tagtäglich ein sehr großer Eichelhäher am Dach des Häuschens und frisst alles auf. Wir haben einen Kochkurs besucht, es gab Lachs in einer Parmesankruste mit Seegras als Beilage. Wir haben ein Konzert besucht, Musik aus der Bretagne und aus den USA, wir sind mit Fahrrad im Sturm gefahren, haben eine Regennacht bei 5 Grad überstanden und sind jeden Tag 10.000 Schritte am Meer spaziert. Wir sind im Watt bis zu den Inseln gewandert, haben mit dem Chihuahua des Gärtners gespielt und zwei neue Bücher entdeckt. Eines in der Bibliothek des Campingplatzes, eines auf einer Bank vor der Dusche, auf der immer Bücher zur Mitnahme abgelegt werden.

Es war Landéda, so wie ich es liebe.

Die Routenplanung für Morgen ist erledigt. Wenn alles gut läuft, kommen wir am Nachmittag in Le Mont Saint Michel an. Heute noch ein paar Dinge erledigen, am Abend Konzert. Und dann geht es in Richtung Heimat. „La la la la la“, gröhlt der Blues mit Bier Nummer vier in der Hand. „Schnauze“, rufen Carissima und ich im Chor.

15. bis 19. Juni, Le Mont Saint Michel

Mit Cordula unterhalte ich mich zurzeit sehr viel über Großwetterlagen und Mikroklimata. Die Meteorologie ist mein nicht ganz geheimes, aber heiß geliebtes Steckenpferd. Sein tuts ja so. Im Moment dreht sich eine Großwetterlage gemütlich vom Atlantik herein, die bringt kalte und nasse Luft, die von Nordfrankreich über Belgien bis Deutschland zieht. Im Alpenraum hingegen scheint sich, so wie es aussieht, eine Südströmung durchzusetzen. Es wird also warm, das Wasser, das es geregnet hat, verdunstet, es kommt so Gewittertürmenm, dann tuschts und dann trocknet alles wieder auf, weil es warm ist, was zu hohen, nassen Wolkentürmen führt. Undsoweiter. Zu Hause als schwül und gewittrig, hier regnerisch und kalt. Und das durchgängig bis Deutschland, für die kommende Woche.

Es ist also völlig egal, wohin ich wie schnell fahre, es regnet ohnehin überall. Also bleibe ich vier Tage in Le Mont Saint Michel, denn hier ist das Internet gut und ich habe zwei Meetings am Plan. Ganz allgemein geht sich nur eine kleine Radtour in den nächsten Ort mit Supermarkt aus, beim zurück Fahren werden wir klatschnass. Und ein Spaziergang. Den Rest der Zeit versuche ich, mich halbwegs trocken zu halten und Carissima nur in Regenpausen zu verlassen.

Der Blues kringelt sich regelmäßig vor Lachen, wenn ich mit schlammverkrusteten Badeschlapfen ins Auto steige und fluche. Ein Paar meiner mitgebrachten Schuhe ist kaputt gegangen, das andere Paar nass. Im Normalfall würde ich mir ein neues Paar Schuhe kaufen. „Aber die Zeiten sind hart“, singt der Blues und genießt seinen Auftritt.

19. bis 20. Juni, Chateau les Bouafles

Mein Lieblingsstopp auf dem Weg von der Bretagne nach Hause ist leicht beschädigt. Zum Einen wird hier massiv umgebaut und obwohl man damit noch nicht fertig ist, hat man den Preis um 30% erhöht. Im Normalfall kein Problem. „Aber die Zeiten sind hart“, singt der Blues, der seit Vormittag betrunken am Beifahrersitz lungert. „Ach, halt doch den Mund!“, rufe ich.

Zum anderen hat man hier einen neuen Hund. Einen riesengroßen, sehr aufdringlichen Schäferhund, der sämtliche Sicherungen bei mir durchbrennen lässt. Natürlich rennt er mir auch noch nach, vom Waschhaus bis zum Auto. „Mimimimimi“, lallt der Blues. Er sitzt vor dem Auto und raucht. „Halt die Klappe!“, rufen Carissima und ich im Chor und sie erinnert mich daran, dass ein Schäferhund ihr einmal die gesamte Fahrerseite zerkratzt hat, weil er unbdingt zu Wanda hinein wollte. Ich klatsche in die Hände und rufe laut, der Hund verzieht sich endlich. „Ich kann hier nicht bleiben“, sage ich und es tut mir unendlich leid. Ich liebe diesen Ort sehr. „Mimimimimi“, singt der Blues. „Ist doch ok“, sagt Carissima, „morgen regnet es ohnehin, dann können wir schön fahren. „Ok“, schluchze ich und alles geht mir auf die Nerven. Dass es bei der abendlichen Fahrradtour zu regnen beginnt und wir wieder einmal nass zurück kommen, nehme ich im Vergleich dann mit Fassung. Kochen fällt aus. Eine der guten Wendungen an den Erneuerungsvorgängen am Platz ist ein Pizzawagen. Heute also Pizza.

20. bis 24. Juni, Buzancy, Tag 50

Nachdem es kühl und regnerisch ist („Lalalallalalalallaala“, lallt der Blues) kann ich uns eine längere Strecke zumuten. Wir fahren bis weit nach Reims und landen im belgisch-französischen Grenzgebiet. Also, eigentlich noch Frankreich, doch die Menschen sprechen einen gar sonderlichen Dialekt. Und irgendwie ist alles anders. Das Wetter soll am Sonntag besser werden und ich beschließe, meinen internen Kampf gegen den Schlamm aufzugeben und einfach hier zu bleiben. Es gibt ja alles. Am Morgen bekommen wir Croissants geliefert, an drei Tagen hat das Restaurant geöffnet und es gibt Fish’n’Chips, die Waschräume sind beheizt und ja, man kann auch Radfahren hier.

Woran ich mich erinnern werde?

An das niederländische Paar, das mich zum Essen eingeladen hat, weil sie es komisch finden, dass wir nebeneinander stehen und ich alleine esse.
An die Bar, an der es am Wochenende Essen gibt, an die schrecklich guten und fetten Pommes, Fish’n’Chips und Veggieburger.
An den Gesang der Vögel ganz früh am Morgen und ganz spät am Abend.

Was soll ich sagen, eine halbe Stunde, nachdem wir losgefahren sind, beginnt es zu regnen. „Mimimimimi“, lallt der Blues. „Halt die Klappe!“, rufen Carissima und ich im Chor. Der Blues zuckt mit den Schultern und holt sich das letzte Bier aus dem Kühlschrank. „Ich kann keines mehr kaufen!“, rufe ich, „Geld aus!“

„Die Zeiten sind hart“, singt der Blues. Wahrscheinlich wird er morgen mit anderen Menschen trinken, irgendwo hier am Platz, die er weinend und verzweifelt zurücklässt. Mir ist das mittlerweile egal.

24. Juni, Tag 50, Luxemburg

Es geht weiter, eine sehr kurze Tour und das ist gut. Bereits am Morgen drückt die Hitze und als wir gegen 10 Uhr in Kockelscheuer ankommen, hat es schon 25 Grad. Der Campingplatz hat das „Complet“ Schild am Eingang und ich kann das nicht glauben. Um 10 Uhr früh? Ich parke Carissima im Schatten und wir gehen an die Rezeption. Ja, erklärt mir die junge Dame dort, seit der Corona Krise ist es verrückt, sie sind immer ausgebucht, ohne Reservierung geht gar nichts mehr. Ich bin irritiert. Und sehr enttäuscht. Ich hatte mich gefreut, auf einen Platz, an dem ich die kommenden Hitzetage überstehen kann, um dann am 28. Juni weiter nach Wetzlar zu fahren. Planänderungen tun mir im Moment nicht gut.

ODER DOCH?

Bevor ich zu sehr ins Grübeln komme, ziehe ich Park4Night zu Rate. Die App hat mir in Notsituationen schon oft geholfen. So auch heute. Sie schlägt mir einen Campingplatz vor, der nur 30 Kilometer entfernt ist, in die Richtung, in die ich möchte, und den mir ACSI nicht angezeigt hat. Also los!

Am Camping in Grevenmacher ist man bemüht. Mehr als zwei Nächte gehen sich aber trotzdem nicht aus, außer, ich will in der prallen Sonne stehen. Und genau das geht eben nicht. Und so parke ich unter einem großen Baum, wandere mit meinem und Wandas Stühlchen dem Schatten hinterher und verfolge mit einer Bar voller Oranjes das Spiel Österreich gegen die Niederlande. Wir haben zurecht gewonnen. Der Blues suhlt sich im Leid der niederländischen Fans.

Woran ich mich erinnern werde:
An die Dankbarkeit, dass wir einen Platz im Schatten haben.
An die unglaublcih sauberen Sanitäranlagen.
An die so hilfreiche Dame am Empfang.
An die Dame, die beim Putzen laut gesungen hat.
An das italienische Windspiel und sein Frauchen, die mir ihre Lebensgeschichte erzählt hat.
An die Erkenntnis beim Radfahren, dass ich tatsächlich bereits an der deutschen Grenze bin.

26. Juni, Tag 52, An der Mosel

27. bis 30. Juni, Tag 53 bis 56, Wetzlar

30. Juni, Tag 56, Lahnau

1. Juli bis 4. Juli, Tag 57 bis 61, Dortmund

5. Juli, Tag 62, Holzhausen

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